Klinische Sensorik
Während sensorische Informationen wie Tasten, Sehen und Hören normalerweise über den Thalamus als „Tor zum Bewusstsein“ primär prozessiert werden, weist das olfaktorische System eine Besonderheit auf: Es projiziert teilweise ohne thalamische Filterung direkt ins limbische System. Diese Besonderheit machen wir uns besonders zu Nutze um ein diagnoseübergeifendes Phänomen, nämlich die Unfähigkeit, Freude zu empfinden (Anhedonie) mit olfaktorischen Mitteln zu untersuchen.
Ziel unserer Studien ist es, das Zusammenspiel der emotionalen Prozessierung von Gerüchen und den ausgelösten Erinnerungen zu erforschen. Im Einzelnen sollten hierzu die Korrelationen zwischen Intensität und Hedonik des jeweiligen Geruchs und der Intensität und Hedonik der ausgelösten Erinnerungen analysiert werden.
Unsere Studien sollen somit im diagnostischen Sinne erste Erkenntnisse erbringen für die Anwendung geruchsinduzierter emotionaler Erinnerungen bei Anhedonie und emotionaler Abgestumpftheit. Auf der Basis unserer Untersuchungen scheint es nun möglich die olfaktorisch-limbische Achse zu nutzen, um einen klinischen Test zur Erfassung von geruchsinduzierten Erinnerungen zu entwerfen und damit Anhedonie sowie emotionale Abgestumpftheit zu quantifizieren.
Interessant ist auch der Blick auf das Spektrum der Gerüche in Bezug auf die vier Qualitäten des SHAPS (Anhedonietest). Einige Gerüche evozierten bei den meisten ProbandInnen charakteristische Erinnerungen, z.B. induziert der Geruch Vanille bei vielen ProbandInnen Erinnerungen, die mit Backen und gemeinsamer Zeit mit Familienangehörigen assoziiert werden. Möglicherweise kann ein verändertes Spektrum von Erinnerungen helfen, die Anhedonie weiter zu differenzieren. So könnte untersucht werden ob die Anhedonie nur bestimmte Teilbereiche ausgeprägt ist wie z.B. „Essen und Trinken“ oder „soziale Interaktionen“.
Weitere Untersuchungen sollten auf Subgruppen wie PatientInnen mit ausgeprägter Anhedonie beziehungsweise emotionaler Abgestumpftheit fokussieren. Unsere weiter geplante Testentwicklung erhält aufgrund des aktuellen Mangels an klinisch praktikablen Anhedonie Scores eine besondere klinische Bedeutung. Besonderes Augenmerk gilt hierbei der Frage, ob bei psychiatrisch erkrankten Individuen eine veränderte olfaktorische Assoziationsbildung und eine veränderte Bewertung der induzierten Erinnerungen besteht.
Anhedonie stellt bei psychiatrischen Erkrankungen ein diagnose-übergreifendes Phänomen dar. Somit könnte der olfaktorische Ansatz unserer Testentwicklung für eine Vielzahl von Erkrankungen potenziell relevant sein.